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Rezension

Horst-Ulrich MannGedichte 1977–2007:
Kampfschweiger


187 Seiten
Kart. EUR 16,90 – lieferbar

ISBN 978-3-941120-07-5


Horst-Ulrich Mann, Doppelgänger seiner selbst, schrieb zeitlebens unter einer Tarnkappe. Sein Herausgeber hat sie gelüftet. Damit sehen wir einen literarischen „Kampfschweiger“ Gestalt annehmen, dessen Werk man manches nachsagen kann, nur keine Verwechselbarkeit.


Der verkappte Mann

Eine Vorbemerkung
von Klaus Steintal

(aus dem vorliegenden Band)

Zu Lebzeiten (1949–2008) firmierte er als Ulrich Horstmann, machte sich nach jugendlichen Stürzen vom hohen Roß auf die akademische Ochsentour und brachte es bis zu einer Professur an einer hessischen Provinzuniversität samt zwanzigjähriger Anwartschaft auf eine halbe Sekretärinnenstelle. „Ich habe mich“, teilte er mir eines Tages fast beiläufig mit, „mit Bedacht entmannt.“ Da war unsere Freundschaft schon so gefestigt, daß es der Aufforderung zum ‚Dichthalten‘ nicht mehr bedurft hätte.
Jetzt aber, wo das Pseudonym sogar auf seinem Grabstein eingemeißelt ist, darf ich reden und erklären. Ulrich Horstmann, mein ‚kampfschweigerischer‘ Weggefährte, war in Wirklichkeit ein anderer, war Horst-Ulrich Mann. Sein im Drogenrausch überrumpelter biologischer Vater, den er mit einiger Häme nur den „frommen Tänzer“ nannte, hatte sich am 22.5.1949, d.h. neun Tage vor der Geburt seines Sohnes, in Cannes das Leben genommen, seine auf Bildern erstaunlich knabenhaft und androgyn wirkende Mutter die Zeugung erschlichen. In einem auf Ende August 1948 datierten Amsterdamer Tagebucheintrag Klaus Manns ist sie ihm gerade einmal die letzten zwei Wörter wert: „Paulus Potter Straat 16. Bis 1/2 2 geschlafen – »Der Fälscher« gelesen, ein Van Meegeren-Drama von Arnold Schwengeler. – Abend mit Alice, Fred und englischen Freunden. Die beleuchtete Stadt angeschaut. – Nachtclub. Jemanden mitgenommen.“ Viel mehr als das, nämlich ein paar Ablichtungen und den Brief, in dem sie mit drastischer Offenheit ihre „Umtriebe am anderen Ufer“ beschrieb, hat der in ostwestfälischem Abgeschobensein aufwachsende Horst-Ulrich von seiner Austrägerin nicht zu Gesicht bekommen. Die Schwarzweiß-Fotos führte er später auf Schritt und Tritt in seiner Brieftasche bei sich, die Enthüllung seiner ‚unmöglichen‘ Entstehungsgeschichte hat er, ich zitiere ihn zum vorletzten Mal, „zwischen die Zähne genommen, zerfetzt, zerkaut und – geschluckt.“
Die wiedertäuferische Verwandlung des Horst-Ulrich Mann in den familiengeschichtlich unbelasteten Ulrich Horstmann ist vor diesem Hintergrund mehr als verständlich. Der Mitgift der Schriftsteller-Dynastie, der Erblast des Schreibenmüssens und der Verbuchstabierungszwänge konnte er trotzdem nicht entkommen. Zwar überfiel ihn der Furor nur von Zeit zu Zeit, aber selbst unter den abwehrend gespreizten Fingern des „Quartalsliteraten Horstmann“ brachten sich vier Romane zu Papier, entstanden Kurzgeschichten, Essays, Aphorismen und eben die hier versammelten, ursprünglich in sechs Bänden veröffentlichten Gedichte. Erweitert um das publikationsfertig hinterlassene Kampfschweiger-Manuskript erscheinen sie hier nach kritischer Sichtung, bei der immerhin fast jeder zweite Text Bestand hatte. Die Auswahl folgt der Chronologie der Veröffentlichungen; lediglich Manns hermetischer Debütband Wortkadavericon, der für den Leser zum Stolperstein werden könnte und die Zugangsschwelle unnötig erhöht, wurde in den Anhang verschoben.
Ich begreife es als paradoxe Pointe, daß den Verfechter des Unverwandten und der Menschenflucht, der seine Zeitgenossen in den frühen 80er Jahren mit dem Untier die Zukunftsfähigkeit absprach, nun auf dem Titelblatt dieser Ausgabe seine hartnäckig ausgeblendete Verwandtschaft einholt und er – von den pränatalen Ereignissen übermannt – seine letzte Ruhe an jenem Gen-Pool findet, in dem sich schon ein Professor Unrat gespiegelt hat und mit dessen Wassern auch Felix Krull gewaschen war.

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